Hockey – Die Leiden des jungen W. – 1.Damen Halle 19/20

Die Leiden des jungen W. – 1. Damen Halle 19/20

 

Disclaimer: Die im Folgenden beschriebenen Handlungen und Figuren sind rein fiktiv und sollen lediglich der Traumabewältigung dienen, die mich in’s Protokoll trieb. Die Schuld für jegliche Interpretation liegt allein bei der/dem Lesenden.

Für all die, die noch nie die Verantwortung für eine 1. Damenmannschaft übertragen bekommen haben sei es rasch ventiliert. Eine (zumindest meine) Saison kann man sich vorstellen, wie einen MMA-Kampf gegen eine Kreuzung aus Riesen-Oktopus und Stichsäge – am Ende sollte man froh sein, wenn man mit dem Leben davonkommt.

Das Peter-Prinzip besagt, grob paraphrasiert, dass jeder Mitarbeiter befördert wird bis zum Erreichen der vollständigen Unfähigkeit seine Aufgabe zu erfüllen. Und irgendwie hatte ich schon nach dem Angebot der ungeplanten Beförderung im Sommer das Gefühl, dass es, sofern nicht schon geschehen, spätestens zur Halle bei mir endgültig soweit sein dürfte. Damenhockey hin oder her, es ist die dritte Liga. Zu diesem Zeitpunkt habe ich in etwa drei Jahren knapp zehn Regionalligaspiele allein gecoacht und davon ging gerade mal eines nicht verloren. Dass das nochmal Thema werden sollte war mir auch nicht transparent.

Der Saisonplan stand bereits und Ziel konnte nur sein alles zu tun, um irgendwie die Liga halten zu können. Eine Möglichkeit zur individuellen Motivation hierzu, die im Nachhinein fatal für mich geendet wäre, ergab sich dann eines, in der Saison noch frühen, Mittwoch beim Jugendtraining. Pauli, der personifizierte Albtraum unserer sämtlichen gegnerischen Torhüterinnen, arbeitet bei Wacker unter anderem als meine Co-Trainerin bei der wJB und als wir die Halle betreten läuft bereits das Training unserer Mädchen A. Eine davon hat, dem Amethyst-Glanzstar nicht unähnlich, allen Ernstes lila-blaue Haare. Darauf schießt uns beiden sofort nur eine Reaktion durch die Denkmurmel. Mir die Offensichtliche, ich bleib stehen und frage: „Warum?“, Pauli dagegen die Investigative. Sie dreht sich zu mir, bekommt dieses gefährliche Grinsen und sagt: „Was muss ich tun, dass du das auch machst?“, „20 Saisontore“, „Zehn“, „Zehn schaffst du, so lebensmüde bin ich nicht. 20 Hütten, dann darfst du mir die Haare färben wie du willst“, „Ok, Deal“. Ihre Begeisterung ob der Abmachung verängstigt mich dezent, aber andererseits muss eine Stürmerin mit Bock auf Tore ja nicht unbedingt was Schlechtes sein.

Am letzten Oktoberwochenende geht’s dann auf das Turnier nach Heidelberg. Spielerisch im Rahmen, ein erster Blick auf Gegner der Saison und Sonntag dann eine Lektion in Sendlinger Verhaltensweisen. Geschwindigkeit und Umfang von sowohl Bewegungsapparat als auch Denkstrukturen lassen teilweise deutlich Überbleibsel der liquide induzierten guten Laune vom Vorabend durch die detaillierte geschmackliche Untersuchung von bayrischen Grundnahrungsmitteln und deren Verbündeten, teils unter Zuhilfenahme von Trainingsmaterialien, nicht wahr Kathy, erkennen. Kurz, die Knallpfeifen haben jeder von ihnen einen eigenen Torjubel zugeordnet, sie müssen reichlich davon Gebrauch machen, aber was andere An-, Ab- oder Verwesende der Halle denken scheint sie nicht mal peripher zu tangieren.

Zwei Wochen später fahren wir auf ein Tagesturnier nach Stuttgart. Inzwischen sind wir spielerisch weiter und die Untergrenze des möglichen allgemeinen Niveaus ist noch fraglicher.

Die Torjubel sind zu einem WarmUp umfunktioniert, um sich das Einlaufen zu ersparen und auch das Lied der Saison scheint gefunden. Ich betrete also gegen Ende der Mittagspause die Halle und es zeigt sich mir folgendes Bild. Auf Tribüne und Bank befindet sich je eine Mannschaft in kleineren Gesprächsgruppen und im Mittelkreis tanzt sich eine wildgewordene Horde unter Leitung einer scheinbar wechselnden Chef-Animateurin warm, während aus der Box ein, vermutlich, zumindest anhand dieser Leistung, dramatisch überbezahlter, aber musikalisch verzweifelter Schlagerinterpret eine asiatische Pflanzengattung zu besingen versucht, deren Name sogar von einem amerikanischen Automobilhersteller adaptiert wurde. Und nein, meine Mannschaft saß nicht. Toll, der bekloppteste Haufen gehört also mir. Es wird mir nichts übrigbleiben, als mich selbst zumindest als Blatt der Lotusblume zu versuchen indem ich mich bemühe das Ganze abperlen zu lassen. Positiv anzumerken bleibt, dass Feli im Schiri definitiv einen neuen Gesprächspartner gefunden hat.

Die Woche drauf ist dann Showdown im Wacker-Dome, Saisonauftakt gegen Rosenheim.

Rückblende: Wir schreiben Samstag, den 19. Januar 2019. Zettel weg, das war nicht wörtlich gemeint. Es steht ein Heimspiel gegen Tabellenführer Rosenheim an und Björn fällt aus. Ich muss das Spiel allein überleben und schon nach der Besprechung kommt der erste Kracher. Lulu hat keine Laufschuhe dabei. Da ich erst nach den Damen selbst spiele leiht sie sich meine. Im Tausch schmeißt sie mir solang ihre Adiletten hin, die zwar zu klein sind, aber zumindest scheint der Anblick die Mannschaft zu erheitern. Jetzt steh ich also in Adiletten bei einem Regionalligaheimspiel. In einem engen umkämpften Spiel schafft das Team tatsächlich den Sieg und somit einen großen, zugegeben nicht einkalkulierten, Schritt in Richtung Klassenerhalt. Zeitgleich ist es der erste und einzige Punktspielsieg für mich als „Chef“ der 1. Damen.

Zurück in der neuen Saison: Besprechung ist erledigt, ich will mich gerade zur Tür drehen, da werde ich von Kapitän Miri unterbrochen, weil: „Die Mannschaft hat noch was.“. Was genau soll das jetzt heißen? Sie greift in ihre Tasche, sagt: „Wir dachten uns, weil’s beim letzten Mal so gut funktioniert hat…“ und packt ein Paar Adiletten aus. „Euer Ernst?“ „Ja. Und zwar sofort, wir hoffen die passen einigermaßen.“. Die Erbärmlichkeit des Outfits steigt jedoch nochmal sprunghaft an, als ich neben dem teamweiten Stirnband, welches auch auf meiner Rübe thront, beim Öffnen der Schuhe bemerke, dass ich am Morgen zu den bequemen Sportsocken in grau-neonpink gegriffen hab. … Das war ja soo clever jetzt nicht. Schallendes Gelächter erfasst die gesamte Kabine. Was ich mir wohl dabei denken würde einen anderen Trainer in einem derartigen Aufzug zu sehen? Es bleibt mir wohl eh keine andere Wahl, als dass es mir egal ist.

Emotional durch mein Möglichstes gepusht schick ich die Mädels in’s Spiel und bin gespannt auf die Dinge, die da kommen mögen. Eine halbe Stunde später, zur Pausensirene, bin ich einigermaßen überrascht. 3:1-Führung. Rosenheim ist schon Rosenheim, aber kommt irgendwie nicht richtig in die Gänge. Wir sind diszipliniert, griffig und vorne macht Pauli keine Gefangenen. Verirrt sich mal jemand in unseren Kreis zeigt Franzi keinerlei Interesse irgendwen erkennen zu lassen, dass es das erste Regionalligaspiel ihres Lebens ist. Auf dem Weg über’s Feld in die Kabine äußert Liesl aus der Zuschauermenge vorsichtige Bedenken: „Bloß nicht zu viel loben, Wolfi, sonst machen die sich alles wieder kaputt.“. Danke für den konstruktiven Beitrag Herr Köhler, solche Tipps von Kollegen nimmt man immer gerne mit. Es gibt aber in der Tat zwei Punkte, die ich in der Kabine zwar anspreche und aufzeichne, aber die mentale Präsenz lässt zu wünschen übrig. Der Großteil hat schon das Hinsetzten nicht fertiggebracht und stöbert umher aufgewühlt wie ein Haufen ratlose Kita-Muttis, denen man heimlich die Stromversorgung der neuen Senseo gekappt hat. Der Vorteil: Aufgrund dieser van Gogh’schen audiellen Aufnahmekapazität spielen sie weiter, als hätte ich nichts gesagt. Das Problem: Selbst als Rosenheim die Torhüterin rausnimmt spielen wir weiter als wäre nichts passiert, anstatt umzustellen. Interessante Momente für jeden Zuschauer mit einer Basis an taktischem Verständnis. Aber sie spielen das Ding runter und zur Schlusssirene greift überraschte Ausgelassenheit mit einem Hauch Zweifel am Gesehenen um sich. Bis nächsten Samstag sind wir Tabellenführer.

Per einstimmigem Beschluss der Mannschaft wird mein New-Kids-Gedächtnis-Outfit zur Dienstkleidung erklärt, die ab sofort bei jedem Punktspiel so zu tragen ist. Und eine persönliche beunruhigende Beobachtung: Pauli hat mit ihren vier Buden nach 10% der Spiele bereits 20% der abgemachten Tore abgehakt. Muss ich mir auch noch Sorgen um einen anstehenden Wechsel meiner Haarfarbe machen?

Sonntag drauf kommt es zum Münchner Klassenkampf, Schwabing gegen Untersendling – Auswärtsspiel bei MSC 2. Die erste Hälfte scheint angelehnt an die Vorwoche. Ich an der Seitenlinie mit Stirnband und Adiletten, die Damen auf der Platte mit Feuer unter’m Arsch und zur Pause eine 3:1-Führung. Ich hätte ja nicht wirklich ein Problem mich daran zu gewöhnen. Aber diesmal geht es nicht weiter wie geplant. Wir kommen nicht mehr gefährlich in den Kreis und MSC knackt unsere Defensive. Gut sieben Minuten vor Schluss fangen wir uns das 3:4. Wir müssen auf Druck umstellen und nur wenige Augenblicke später durchbricht Sophia ihr Steffi-Müller-Syndrom und gleicht aus. Wie elementar dieses Tor und der ihm folgende Punkt knapp 3 Monate später dann sein sollte, wagte niemand in diesem Moment abzusehen. In der Tabelle steht nach zwei Spielen Rang zwei hinter der Bundesligareserve vom TSV Mannheim zu Buche, die wir die Woche drauf zu Besuch bekommen sollten.

Dieses Spiel startet gleich doppelt unschön. Zum einen schießen wir zum ersten Mal in dieser Saison nicht das erste Tor und nur kurz darauf verletzt sich Lulu. Es sind noch keine zehn Minuten von der Uhr. Vor der Pause trägt sich Laura als erste Verteidigerin in unsere Torschützenliste ein und verkürzt auf 1:2, der Schock durch die Verletzung ist aber nicht zu leugnen. In Summe sind wir nicht ungefährlich, aber die Mannheimer Torhüterin ist in glänzender Verfassung und bringt uns an den Rand der Verzweiflung. Es endet mit der ersten Saisonniederlage von 1:3. Nach Spiel 1 Platz 1, nach Spiel 2 Platz 2 und nun nach Spiel 3 auf Platz 3. Ich bin ja mal gespannt wo wir dann nach dem 6. Spieltag so in der Tabelle zu finden sind.

Nächster Programmpunkt, Heimspiel gegen Stuttgart. Die sind uns diesen Winter aus Heidelberg und von unserem Besuch zum Tagesturnier bereits bekannt.

Das Theater, dass das Spiel aufgrund einer Sperrung der Gaißacher fast hätte ausfallen müssen kommt noch hinzu. Die gesamte Woche sind bei der Stadt nirgends belastbare Informationen zu beziehen und um wenigstens irgendein Training zu haben, wenn wir schon nicht in der Halle arbeiten können, in der wir auch spielen sollen, sind wir gezwungen kurzfristigst Testspiele zu organisieren.

Von Beginn an sieht man dann, dass beiden die Systeme der jeweils anderen bekannt sind. So ist es nicht verwunderlich, dass fünf von sechs Toren des Tages durch Ecken fallen. Den Anfang macht Pauli mit einer Ablage, wie man sie wohl tuntiger nicht reinlöffeln kann, aber nach so einem Quatsch fragt ja zum Glück niemand. Auch lässt Lena, die Lulu ersetzt, kaum erblicken, dass sie seit Juli Verletzungspause hatte. Kurz nach Wiederanpfiff legt Leo dann die zweite Ecke per Direktschuss nach. Das Kickersdynamite will bisher noch nicht recht zünden. In einem der seltenen schnellen Konter haben wir das dritte Tor auf der Kelle, in der 45. Minute machen wir das dann auch, aber es wird wieder aberkannt. Warum genau? Weil es zu schnell ging, der Schiri neidisch ist, weil er das so nicht hinbekommen hätte oder weil sie Linkshänderin ist? Wer weiß das schon. Ab diesem Moment erweisen sich die Schwäbinnen nicht als Blindgänger, sondern als Spätzünder und ziehen eine starke moralische Leistung ab. Sie lassen uns keine ruhige Sekunde mehr, wir laufen nur noch hinterher, verschenken auch im vierten Spiel immer noch viel zu einfach Ecken und die Kickers versenken sie. Die Trainingsinhalte vor dem Hinrundenabschluss bei Aufsteiger Schwabach, die mir durch die vergangenen beiden Saisons der 2. Damen nicht fremd sind, liegen also auf der Hand.

Der erste große Dank des Tages gilt Anna, die ihre Schwester direkt aus dem Prüfungssaal – Welches hirnverbrannte Prüfungsamt hat beschlossen Prüfungen an einem Samstag zu erlauben? Da können Hockeyspiele sein, verdammte Hacke. Kann man die unwichtigen Dinge da nicht hintenanstellen? – einsammelt und nachbringt. Das Spiel steht im Schatten eines Namens, der keiner weiteren Erläuterung bedarf, Peter Rein.

Man erkennt vom Start weg, dass wir nicht willig sind eine Spielwende wie in der Vorwoche erneut zuzulassen. Unsere Führung wird jedoch ausgeglichen bis zur Pause. In der zweiten Hälfte ist es ein schnelles Spiel, indem wir vielfältig gefährlich werden und egal, ob durch normalen Aufbau, Konter oder Ecken zu Toren kommen. Auch Schwabach hat aber immer wieder Chancen, oder es wird eben von anderer Stelle dafür gesorgt, dass sie Chancen bekommen. Wir sind während 60 Minuten nicht einmal in Rückstand und können nach jedem Ausgleich innerhalb kürzester Zeit wieder in Führung gehen, charakterlich eine echt starke Vorstellung, zum Schluss steht jedoch ein 5:5. Zumindest ein Punkt, aber ich kann Anderl, der auch heute nicht dabei sein konnte, bei der Nachbesprechung am Telefon sagen, dass die beim Rückspiel fällig sind. Auch das Maß der prophezeierischen Qualitäten meinerseits in dieser Angelegenheit bleibt vorerst unentdeckt bis irrelevant. Erstmal der Übergang in eine nötige Saisonpause angesichts der Feierlichkeiten anlässlich des Geburtstages des Religionsstifters.

Zur Vorbereitung auf die zweite Saisonsektion fahren wir auf das Neujahrsturnier nach Böblingen. Und wieder sind mit Stuttgart und Rosenheim auch zwei Ligakonkurrenten anwesend, wo man mal spicken kann, was die so vorhaben.

Der Samstag bringt uns in’s Halbfinale, die Leistungsanpassung am Sonntag ermöglicht eine pünktliche Rückreise, wer versteht, was ich meine. Taktisch sind wir nach wie vor grundsätzlich gesichert, aber konditionell nicht immer auf der Höhe. Durchgehend voll auf der Höhe bleibt der gesangliche Einsatz der Freundinnen der tanzbaren Beatmusik, bewiesen durch diverse videografische Verewigungen.

Die Woche zeigt, ein Weckruf scheint angebracht. Ich bemühe mich klarzustellen, dass sich mein Interesse am Verlass auf sowohl der Selbstverständlichkeit einer Hinrundenkopie, als auch einer Wunderrettung in den letzten Spielen, nur weil das die letzten Jahre noch immer funktioniert hat, sich in einem derart engen Rahmen hält, dass eine Briefmarke dafür wohl überdimensioniert wäre.

Beim Rückspiel in Rosenheim bleibt jedoch vom Anpfiff weg kein Zweifel, dass die Hausherrinnen auf einem Rachefeldzug sind und bereit sind alles zu tun, um das Hinspielergebnis, aus ihren Augen, zurechtzurücken. Das äußert sich in einer, selbst für dortige Verhältnisse, überdurchschnittlichen Körperlichkeit und enormem Pressing. So erzwingen sie immer wieder Fehler, die unserem Selbstvertrauen nicht unbedingt dienlich sind. Offensiv einfallslos laufen sie uns wirklich das gesamte Spiel jeden Ball an, sodass es nach 59 Minuten 1:5 steht. An sich hätte man die Partie hier besser beenden sollen. 22 Sekunden vor Ende wird dann nämlich noch Kapitän Miri verletzt und somit den Rest der Saison fehlen.

Das Kellerduell steigt eine Woche drauf daheim gegen MSC 2. Die Schwabingerinnen, inzwischen kadertechnisch scheinbar nahezu bis zur Unkenntlichkeit gepimpt, um nach der ungenügenden Punkteausbeute der Hinrunde nun wenigstens aus der Rückrunde die nötigen Zähler zu destillieren und uns an ihrer Stelle den schmerzhaften Gang hinab in die Oberliga antreten zu lassen, erscheinen gewappnet, wenn auch nur noch mit einem Trainer.

Pünktlich zum wichtigsten Spiel graben wir die im Rückblick schlechteste Saisonleistung aus. Es geht einfach nichts zusammen. Wäre das Spiel Belletristik würde der Lyriker vermutlich diagnostizieren: „Es stimmt was nicht mit dem Gedicht, der letzte Satz, der reimt sich kaum.“ und wir verlieren ein definitiv nicht ansehnliches Spiel überflüssig mit 0:1.

Jetzt haben wir offiziell ein Problem, sitzen nur noch einen Punkt vor dem Abstiegsplatz und im Hinterkopf hör ich die Stimme von Captain Jack Sparrow: „Falls du auf den richtigen Moment gewartet hast… Das war er gerade.“.

Mit dem Wasser bis Oberkante Unterlippe steigen wir dann sechs Tage später in den Zug zum Tabellenführer nach Mannheim. Was sich dort zutragen sollte erinnerte, wenn auch in getauschter Führungsrolle, an die 2. Hälfte in Schwabach. Meine letzte Ausrichtung in der Kabine nach der Enttäuschung der Vorwoche lautet: „Ich will Hockey sehen wie Kinder-Schokolade. Spiel, Spaß und Spannung. Und dann gibt’s auch Schokolade“. Naja. 4. Minute Führung Mannheim. Der Hallensprecher hat den Namen der Torschützin aber noch nicht auf dem Zettel vor seiner Nase ausfindig machen können, da hat Leo ihm schon den nächsten Job aufgetragen und den Ausgleich organisiert. 7 Minuten später dieselbe Prozedur nochmal. Führung Mannheim, Tina gleicht im direkten Gegenzug aus. 5 Minuten später wieder ein Doppelschlag, diesmal klingelt es aber zweimal bei uns. Wir stellen um, brauchen einen Moment, fangen uns aber. Mit der Schlussecke der Halbzeit setzt Pauli den Anschluss auf 3:4. Wir sind dran am Tabellenführer. Die sind nicht überragend, wir schalten jedoch zu langsam um und das nutzen sie aus.

In der Pause korrigier ich daher die Marschrichtung. Mit dem einen geplanten Punkt bin ich nicht mehr zufrieden, Ziel müssen drei sein. Unser Ausgleich durch Kapitän Leo, per Ecke für alle, die es sich nicht denken konnten, hält aber nur 2 Minuten. Dem Kampf tut das aber keinerlei Abbruch. In der 57. schlägt dann ein Stecher, Marke Kann-man-mal-so-machen-Traumtor, zur Vorentscheidung ein. Endergebnis 4:6, aber unbestreitbare Leistungssteigerung, aber eben auch ertragslos. Z.B. haben wir keine einzige Ecke gegen zugelassen, nur hat TSV auch keine gebraucht.

Es kommt mir ein wenig vor, als würde man den Tellerwäscher vor fünf heiße Herdplatten stellen. Egal, was ich versuche zu retten, dann brennt’s halt woanders. Glück, Fehlanzeige. Im Gegenteil, in Abwesenheit jubelt der MSC uns tags drauf mit einem Heimsieg gegen Schwabach sogar den Abstiegsplatz zu. Als ich mit einer Mannschaft in die Oberliga wollte, hatte ich eigentlich mehr die 2. Damen im Sinn gehabt, aber wer bis zum Hals in der Scheiße steckt, sollte den Kopf besser nicht hängen lassen. Da jubelt das Phrasenschwein.

Der Leistungskurs in Gegenläufigkeiten wurde dann die Woche drauf bei der Auswärtsfahrt nach Stuttgart abgehalten. Im Kader zwei Torhüterinnen und neun Feldspielerinnen. Der erste Tagesordnungspunkt findet sich wohl am besten in der Formulierung aus dem Homepagebericht wiedergespiegelt, dass Tina das Motto „38° und es geht noch heißer“ zu wörtlich genommen hat. Sie war wohl wirklich Feuer und Flamme für das Spiel. Respekt, wessen Hirn auch immer dieser dezent makabre Schenkelklopfer entfleuchte. Dann halt mit drei Wechslern. Dachte ich. Welch groteske Selbstüberschätzung. Noch bevor ich Kathy am Parkplatz zu sehen bekomme erreicht mich der Beschluss, dass wir sie zum Selbstschutz wieder nach Hause schicken. Und in der Tat, als sie vor mir steht ist es umgehend klar. Das Gesicht weißer als die Kittel, deren Trägern sie beruflich einen Großteil ihrer Anerkennung ermöglicht. Vieles, aber die ist nicht spielfähig. Sie musste quasi REHsignieren – tut mir leid, der musste sein. Ich denk an meine Wechselbank und höre Campino singen: „Da waren’s nur noch zwei. Zwei kleine Jägermeister…“. So, welche zusätzlichen Jägermeisterinnen können wir spontan noch anrufen? Der Kniff, welcher jener Frage innewohnt, ist kurz darauf offenbart. Anrufen können wir schon ein paar, aber Zeit hat halt niemand. Dann eben nicht.

Frohen Mutes und beschwingten Fußes ging es los, ach wen will ich verarschen. Anderl und ich grübelten beinahe die komplette Fahrt, wie genau wir das Experiment anstellen und wen man auf welcher Position so alles wagen kann.

Vor Ort war die Stimmung ganz einfach zusammengefasst. We‘re not here to fuck spiders, wie die Australier sagen. Wir sind nicht zur Gaudi hier weil die Stuttgarter Luft so erfrischend ist. Jede einzelne Anwesende zündet hier restlos alles, was im Tank ist, um die Kiste solang wie möglich offen zu halten.

Interessantes Konzept eigentlich, nette Idee. Dass da vorher noch keiner drauf gekommen ist… . Sachen gibt’s. Um das zu unterstützen starten wir auch nicht in der Manndeckung.

Nach missglücktem 7-Meter und 0:2 Rückstand durchbricht Sophia, vermutlich angestachelt durch ihre private Fan-Armada, gar zum dritten Mal ihr Steffi-Müller-Syndrom und lässt uns mit dem Anschlusstreffer auch auf der Anzeigentafel ankommen. Nach einem weiteren Gegentor und einer guten Kickers-Ecke, die Franzi allerdings mit einer Gelassenheit aus dem Winkel kratzt, als hätte sie ne 100er-Valium in der Blutbahn, verkürzen wir vor der Pause nochmal per Ecke durch, muss ich’s eigentlich noch sagen, man kann es sich ja denken. Wir kommen, obwohl am Positionen wechseln, wie die Hütchenspieler, auch in der zweiten Hälfte zu reichlich brauchbaren Chancen, bis Pauli in der 45. mitten in eine kurze Stuttgarter Druckphase hinein Ernst macht und ausgleicht. Diese respektlose Jugend von heute.

Es geht hier immer noch was. Daraufhin macht Stuttgart kurzen Prozess und nimmt Lena aus dem Spiel. Und zwar in der wörtlichsten aller Möglichkeiten, einfach stumpf über den Haufen gerannt, dass es selbst einem Fußballer peinlich gewesen wäre. Bei der Menge an Gegensätzen kommt ja vielleicht wenigstens eine Entschuldigung oder was in der Art: „Wir sind hier halt nicht beim Ballett.“. Ok, anscheinend nicht. Dass die geistige Potenz auch bei Hockeyspielern teils derart unterflurig sein kann, dass jegliche Form von Selbstreflexion eliminiert wird. Es ist schon schade, aber wie der große Prof. Lesch einst sagte: „10% Fehler hat man in jeder Population.“.

Bei der Aussicht auf die letzten 15 Minuten mit einem Wechsler steht eigentlich eine Moralalteration zu befürchten, als hätte jemand deinen nagelneuen Telekommunikationsapparat mit Absicht fallen lassen, nur weil du ihm in der dritten Klasse mal keinen Kaugummi abgegeben hast. Hier ist aber wieder alles anders. Die Mädels kämpfen weiter und stehen kompakt. 7 Minuten vor Schluss ist der Ofen dann aber aus, wie zu Francesco’s besten Zeiten, und wir verlieren 3:5. Nach einer Verschnaufpause fassen wir unser Spiel zusammen und mir bleibt eine ehrliche Meinung: „Für das Spiel hätte ich sogar Eintritt gezahlt.“.

Bringt aber nichts, gewinnt MSC morgen in Rosenheim sind wir abgestiegen. Der nächste Tag, tun sie nicht und somit haben wir durch das spielfreie Wochenende aufgrund der deutschen Endrunde zwei Wochen Vorbereitung auf die finale Aufgabe gegen Schwabach, bei zeitgleichem Hoffen, dass Stuttgart bei MSC mindestens einen Punkt holt.

Zwei Einheiten und einen guten Auftritt im Testspiel gegen Zweitligist TuS später ist es endlich angerichtet. Die Ausgangssituation ist digital einfach: Gewinnen wir, dürfen wir auf Schützenhilfe hoffen, sonst sind wir wie ein ausgeklappter Scheibenwischer – weg vom Fenster. Unser Fokus liegt also auf uns, alles andere können wir eh nicht mehr beeinflussen. Trotzdem wünsch ich dem Stuttgarter Coach via Handy viel Erfolg, ganz uneigennützig versteht sich.

Der Start läuft exakt nach Plan, allerdings nicht nach unserem. 4. Minute 0:1. Doch dann die Korrektur. 5. Minute, Ecke, Ausgleich. 7. Minute Führungstreffer, jetzt kann’s losgehen. Mitte der Halbzeit beginnen wir zu schwimmen und Schwabach beginnt Lücken im System auszumachen. Auszeit, Besinnung auf den Plan, ein Vorschlag offensiv und weiter. Sekunden später rappelt’s und die Führung ist ausgebaut. In der Folge schaltet Schwabach schneller, verkürzt und gleicht dann aus. Andersrum wär ja auch komisch. 3:3 zur Pause.

Auf dem Weg zur Kabine flüstert mir Lulu die Führung von Stuttgart in der Freudstraße zu. Daraufhin Taktikwechsel und kurz Zeit allen klar zu machen, dass wir zumindest unsern Teil hier erledigen können. Ich hatte im Dezember noch gesagt, dass die fällig sind, wenn die zu uns kommen. Letzte Halbzeit der Saison, in der Halle hat Hutti mittlerweile eine Trommel beschafft.

35. Minute, Feli zieht im 1 gegen 2 die Ecke. Ich sag noch „Leo“, sie schaut, „Kopf hoch“. Sie zieht einfach durch und trifft. Sofort ist alles wieder eine Spur griffiger, wenn auch nicht wirklich effektiver. Es bleibt zehn Minuten ein zähes hin und her. Mitte der Halbzeit wird’s dann wieder interessant. Nach schönem Kontaktspiel kommt der Ball in die Tiefe, wo Pauli sich läuferisch der ihr zugeteilten Bewacherin entledigt, einen ankle breaker gegen die Torhüterin der Franken auspackt und das Spielgerät aus spitzem Winkel mit Nachdruck unter den Querbalken befördert (Ihr letzter und 10ter Saisontreffer und jetzt hier sitzend bin ich heilfroh damals 20 gesagt zu haben, sonst hätt ich regenbogenfarbene Haare).

Danach muss sich Schwabach erstmal schütteln. Diese Denkpause nutzen wir allerdings, um die nächste Ecke zu ziehen. Ich hol Leo ran: „Wenn sie läuft legst du ab“, „ok“. Die Torhüterin distanziert sich ruckartig von der ihr zugewiesenen Linie, Leo zieht unbeeindruckt ab und mit einem markerschütternden Knall detoniert der Ball am Pfosten und aus dem Getümmel kommt es zur Folgeecke. Ich deute Leo die Stemmschritt-Variante an, sie semmelt abermals in scheinbar purem Gottvertrauen geradewegs auf die rechte Ecke des Schwabacher Gehäuses und schon wieder ertönt dieses herrliche Geräusch, wenn ein Ball das Tornetz abrupt von innen unter mechanische Spannung setzt, welches mir aus meinen Torwartzeiten noch so verhasst bekannt.

6:3, 13 Minuten und ein paar Zerquetschte Rest, Schwabach nimmt die Auszeit und geht in die Überzahl. In Erinnerung an den Saisonauftakt sag ich vielfach: „Unterzahl, 5er klassisch“. Doch die Fränkinnen haben ein Rezept gefunden, eine Bodenwelle, die uns irrsinniger Weise mehrfach als Ecke gegen ausgelegt wird, aber die guten Schiris erweisen sich in dieser Sache als erkenntnisresistent. Als es das zweite Mal scheppert wird mir komisch. Es steht auf der Grenze, ob Anna im Kasten sich, trotz bisher guter Leistung, im Griff behält und noch viereinhalb zu gehen.

Kurz darauf funkt Hoffnung auf, als Pauli zum 7-Meter antritt. Im Sinne des Spannungsbogens wird der aber vergeben. Wahrscheinlich war ihr der Winkel zu ungewohnt groß und Tore ohne Verteidiger sind auch irgendwie unfair, das gehört sich einfach nicht. Recht hat sie.

Letzte Minute und Schwabach packt wieder den Trick mit der Bodenwelle aus. Leute, man macht nicht ständig denselben Gag, man macht einen neuen Gag, aber nein… . Die Spuren der Anstrengung sind aber auch an unseren Widersacherinnen nicht vorbeigezogen und so endet der Versuch in Lauras Brett, der fällige Freischlagpfiff für uns ertönt und wenige Sekunden darauf ist es geschafft. Richtig? Falsch!

Verhaltener Jubel in der Halle, müde nüchterne Erleichterung in den Gesichtern, während ich mich direkt an‘s andere Hallenende begebe, wo der Kontakt nach Schwabing steht. Ich schau auf mein Handy und lese die Antwort von Marc, dass er gar nicht dabei ist, seine Damen aber gewinnen wollen und ein Zwischenergebnis von 3:1, aber wer weiß, wann das war. Am interessanten Handy angekommen erfahr ich, dass inzwischen beim Stand von 3:5 für Stuttgart noch vier Minuten auf der Uhr sind. Es ist also möglich, hängt aber noch in der Luft. Also zurück zur Mannschaft, kurze Spielzusammenfassung und verkünden, was aktuell Sache ist.

Ich geh wieder zurück an die Informationsquelle und die Mädels versammeln sich in einem bangen Sitzkreis. Ein Gefühl, wie viel der vier Minuten noch über ist hab ich aber nicht. Dann ein gespaltener Moment. „5:4“, Anspannung, „Scheiße. Wie lang noch?“, „Nix. 5:4, Aus.“, Befreiung. Das hat aber wohl vom Team keiner gehört.

Vor Erleichterung scheine ich den ersten Versuch nur gebrochen verständlich artikuliert haben zu können. „Was?“, ich wiederhole mich: „Mädels, 5:4 Stuttgart. Wir sind durch“.

Es ist tatsächlich geschafft, die Wacker-Damen bleiben in der 3. Liga und ich kann mich in Frieden meiner mentalen Annihilation widmen.

Mein zutiefster Dank für diese Zeit und simultaner Respekt zum Ertragen meinerselbst geht an Anja, Max, Keule und mein gesamtes Konglomerat an Bekloppten, quer durchs Alphabet von Auerbeck bis Sollermann. Es war mir ein inneres Partyhütchen und am Ende bin ich froh nach alldem mit dem Leben davongekommen zu sein.

Ihr wart mir ein Vergnügen, gehabt euch wohl!