Hockey – Wie wird man bayerischer Meister – eine Trainersichtweise!

„Hinter den Ball – Ball-Tor-Spur – Druck, Druck, Druck“ schallte es an Allerheiligen am frühen Nachmittag immer wieder lautstark über die Hockeyanlage des Nürnberger HTC! Dann der erlösende Schlusspfiff!

1:0 hatten soeben die B-Mädels des HCW gegen MSC in einem tollen, temporeichen und bis zum Schluss sehr spannenden Endspiel um die bayerische Meisterschaft gewonnen. Tatsächlich konnte eine Jugendmannschaft nach 9 Jahren wieder einmal einen bayerischen Meisterwimpel für den HCW nach Sendling holen.

Der Jubel der Mädels kannte kaum Grenzen, und auch die mitgereisten Fans freuten sich für die Kids und applaudierten lautstark – eine Wahnsinnsleistung mit einem unglaublichen Teamspirit und dem absoluten Willen das große Ziel zu erreichen!!!

Wie der Phönix aus der Asche, oder doch nicht?

Mitnichten, denn diesem Erfolg liegt ein von langer Hand geplanter, intensiver und wohlüberlegter Plan und Vorlauf zugrunde. Begonnen hat es fast 5 Jahr zuvor, indem meine Frau Barbara als Minitrainerin mit toller, aufopferungsvoller Arbeit wieder Schwung in die über Jahre schlechte Trainingsarbeit im Jugendbereich brachte. Sie war es dann auch welche verantwortlich war, dass ich selbst wieder die Trainertätigkeit aufnahm! Mit dem Satz “wenn dein Kind Julia schon bei Wacker Hockey spielt, soll sie den besten Trainer bekommen“ hatte sie mich an der Angel.

Dabei war der Wiederanfang als D-Mädchen-Trainer alles andere als leicht. Zuvor bei den Erwachsenen im Leistungsbereich jahrelang tätig, musste ich erst wieder lernen die Sprache der Kinder zu sprechen und zu denken. Ich kann mich noch genau daran erinnern wie es auf dem Trainingsplatz vor einer Übung aussah wenn ich sagte „ macht bitte eine Reihe“! Selbst das Beiwort „hintereinander“ schien „Fachchinesisch“ zu sein! Worte wie „vorne-hinten“ oder „rechts-links“ waren zu Beginn genauso Fremdwörter – man fing im wahrsten Sinne des Wortes bei „0“ an! Die Kinder aber lernten schnell und der überwiegende Teil war sehr fleißig bei der Sache.


TSV Ludwigsburg 2017

Der Weg ist das Ziel!?

Die Basis bildete ein eigenständig entworfenes Konzept, eine Schwerpunktsetzung von Trainingsinhalten und die Suche nach einem Team zur Bewältigung der umfangreichen Aufgabe. Darauf aufbauend war der wesentliche Punkt und letztlich auch mitverantwortlich für den jetzt eingefahrenen Erfolg eine qualitativ hochwertige Trainingsarbeit. Dafür war es erforderlich allen Beteiligten, also Eltern und Kindern gleichermaßen, Werte wie Pünktlichkeit, Disziplin und Aufmerksamkeit zu vermitteln, um dann mit Spaß und der richtigen Einstellung zum Sport auch Positives in einer großen, heterogenen Gruppe bewirken zu können. Die Kinder und Eltern sollten spüren, dass jemand mit großer Motivation und Einsatz vorweggeht und einen klaren Plan hat, sowie eine klare Linie fährt – egal ob es um Orga., Kommunikation oder das Training selbst und die Spieltagsbetreuung geht. Saisonplanungen, die Erstellung in sich aufbauender Trainingspläne, bis hin zur Erstellung und Weiterreichung der einzelnen Einheiten an die Co-Trainer gehörten in der Folge also zu den routinemäßigen Arbeiten dazu.


Ostercamp 2017

Schon früh legte ich den Fokus auf die Ausbildung eines breiten Sockels, um evtl. spätere Erfolge einfahren zu können. So wurden nicht nur die Kids in der ersten Reihe gefördert, sondern der Versuch unternommen, mit den vielen Co-Trainern allen ein breit gefächertes, diversifiziertes Angebot angedeihen zu lassen, sodass jedes Mädel sich entsprechend weiterentwickeln konnte. Es durfte auch nicht nur um einen Jahrgang gehen, denn sonst würde man bei immer wieder kehrenden Jahrgangswechseln schnell einige verlieren. Allzu oft wechseln ansonsten die wenigen guten Kinder des HCW wegen einer vermeintlichen Perspektivlosigkeit zu anderen Vereinen!


NHTC 2017

Schnell stellten sich die Erfolge ein, plötzlich wurde man als Wacker wieder geachtet. Es hieß nicht mehr „es ist nur eine Frage der Höhe wie wir gegen Wacker gewinnen“. Nein, man hörte auf den Spieltagen jetzt „oh Gott, gegen Wacker, da haben wir wieder keine Chance“. Von gegnerischer Trainerseite kamen Kommentare wie „bitte seid dieses Mal gnädig“!

Von nichts kommt nichts!


Ostercamp 2018


Ludwigsburg 2018

Um die Ziele erreichen zu können war schnell klar, dass der im Verein üblich betriebene Aufwand gerade dazu reichen würde das Schiff zu stabilisieren! Also wurden Camps, Fördertrainings und weitere flankierende Maßnahmen organisiert. Mit dem Konditionstraining als 3. Einheit wurde ein weiterer wichtiger Baustein implementiert. Jetzt bei den Mädchen B komplettierten Sondertrainings, Eckentraining, Taktikbesprechungen und Videositzungen das Angebot.


Rosenheim 2019


Ludwigsburg 2019


Hamburg 2019

Alles in allem ein riesiger Aufwand mit einem immensen Vorlauf! Doch wer meint, wir hätten hier besonders viel gemacht der irrt. Ein alter Freund und Weggefährten vom MSC erzählte die MSC-Mädels haben sogar noch mehr Training (3x Stocktraining und das Athletiktraining als 4. Einheit). Das ist mehr als zu meiner Bundesligazeit vor 30 Jahren. Es ist schon ein Wahnsinn!

Aber will man etwas erreichen, muss man mehr machen, besser sein als die breite Masse!


Dreikönigsturnier ESV 2020

Und damit sind wir wieder bei der bayerischen Meisterschaft! Eigentlich müsste man denken, auch für den Trainer löst sich die Spannung nach einem solchen Finale. Das Ziel war erreicht!

Nach Oliver Kahn Manier sollte man laut schreien: „Da is das Ding“


Bayerischer Meister 2020

Das dies nicht so war, hatte sicher viele Gründe. Zum einen wartete nach dem Finale gleich die B2 Mannschaft, welche nach einer erfolgreichen Saison in der Verbandsliga 1 als Zweiter der Südgruppe den neu ins Leben gerufenen „Bayern-Cup“ spielen durften. Da die ganze Saison gleichermaßen auch diesem Team die volle Aufmerksamkeit galt, war es für mich selbstverständlich dies auch zu Ende zu führen. Und die Mädels der B2 haben auch nochmals gezeigt, was sie zu leisten im Stande sind und schlossen den Cup als Zweiter ab! Damit war das Wochenende einen Tag vor dem lockdown 2 sportlich gesehen nochmals ein voller Erfolg!

Was mich aber beschäftigte war eine Unterhaltung vom Samstag. Zusammen mit dem Vertreter des bay. Hockeyverbandes und Uhrgestein des NHTC, welcher mich viele Jahre im Hockeygeschehen begleitet hatte, und Hermann als Landestrainer philosophierten wir über Aufwand, Erfolg, Missstände, Trainerkompetenzen und vieles mehr. Beide beglückwünschten mich bereits am Samstag vor dem Halbfinale zu der tollen Arbeit. Natürlich wie immer mit dem Beisatz, man wisse gar nicht wie ich so etwas neben Familie und Beruf stemmen könne! Bis dahin alles gut, was aber im folgendes Satz kam, viel mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich wusste ich es, aber manchmal schiebt man ja bewusst Dinge zur Seite! Mit dem trockenen Beisatz angehängt an die Glückwünsche, dass ich das ganze Programm jetzt halt nochmal 5 Jahre fahren müsse, sonst verschwindet Wacker wieder so schnell wie man jetzt gekommen war, fing es an zu rattern!

Wie viel Zeitaufwand, Engagement, Kraft, Energie, Kämpfe gegen Windmühlen kosteten die letzten 5 Jahre – das gleiche kann und will ich nicht nochmals leisten! Andererseits bescherte mir die Zeit zahlreiche tolle Momente mit den Kindern. Die Entwicklung von Kindern begleiten zu können, Ihnen etwas zu geben und viel zurück zu bekommen, ist was außergewöhnliches – dafür bin ich sehr dankbar. Gleichzeitig entstanden neue Freundschaften mit Eltern. Es war bis dahin ohne wenn und aber eine tolle und intensive Zeit.

Allen, die mich auf dem langen Weg bis hierhin in welcher Form auch immer unterstützt haben, möchte ich „Danke, Danke, Danke“ sagen. Meinen Mädels welche ich jetzt über all die Jahre führen durfte, möchte ich an dieser Stelle besonders danken. Ihr seid der Grund, warum ich das mache!! Zuletzt möchte ich mich bei meiner Familie bedanken – alle müssen oft auf ihren Papa verzichten und zurückstehen wegen Hockey; Barbara, welche mich die ganze Zeit ermutigt hat, welche mir im Hintergrund viel Arbeit abgenommen hat; Julia, welche in ihrem Papa und Trainer in einer Person sicher den größten Kritiker hatte und eher benachteiligt wurde; und nicht zuletzt Sarah oft hinterherlaufen musste – Danke, Danke, Danke!

Der Weg der Mädchen B zeigt eines, es ist nach wie vor möglich, Ziele zu erreichen. Aber ein Leistungsgedanke steht nicht nur auf dem Papier, er muss bis in die letzte Pore gelebt werden. Konsequent, leidenschaftlich und wie man sieht über Jahre.

Wer jetzt meint, das ist eine Abschiedsrede, hat sich getäuscht! „Das war´s noch nicht“ möchte ich mit Uli Höneß Worten enden, aber es werden ganz sicher auch keine weiteren 5 Jahre!

Ralf Gemmrig